Kommst Du oft hierher?

Komsmt Du oft hierher? ©Nicole Neuberger via Unsplash

Es ist leichter geworden, jemanden kennenzulernen.

Vor Facebook, Tinder und Co. waren wir darauf angewiesen, dass im neuen Büro jemand Nettes arbeitet oder die Freundin einer Freundin jemanden kennt, der perfekt zu uns passen würde. Okay, da waren Partys, Festivals, Discobesuche. Auch dort trifft man unter Umständen die große Liebe für die Ewigkeit oder zumindest den Augenblick, auch heute noch. Aber mal ehrlich, für Schüchterne ist das alles nichts. Allein in eine Bar gehen und darauf hoffen, angesprochen zu werden? Niemals. Selbst jemanden ansprechen? Auf keinen Fall. Die richtigen Worte und ein echtes Lächeln rausbringen, wenn jemand einen Gesprächsanfang wagt? Schwierig bis unmöglich, auf jeden Fall ohne flüssige Courage. Und da haben wir gleich das nächste Problem. Woher wissen wir, dass der Typ, der gestern nach dem einen oder anderen Glas Sekt und im schmeichelhaften Abendlicht noch super aussah, diesen Eindruck auch bei Sonnenschein ganz ohne alkoholischen Weichzeichner bestätigen kann? Wissen wir nicht. Und die eine oder andere Überraschung war vorprogrammiert, genau wie beim Blinde Date, auf das man sich besser niemals eingelassen hätte. Schwierig war’s, aber auch lustig. Denn wenn der Typ bei Tageslicht wirklich gruslig war, hat das Ganze immerhin für eine tolle Geschichte gereicht. Oder? Und der erste Satz einer neuen Unterhaltung hatte grundsätzlich das Potential in die Memoiren der Datinggeschichte einzugehen, wenn er nicht gerade lautete: “Kommst Du oft hierher?” Da haben wir es heute leichter. Ein einfaches “Hey” in die Chatbox getippt und schon ist der erste Schritt getan, ganz ohne Rot zu werden und wenn doch, sieht derjenige hinter dem Computerbildschirm es nicht.

Es ist schwieriger geworden, jemanden kennenzulernen.

Vor Facebook, Tinder und Co. gab es auch Schwindler, sogar Heiratsschwindler, aber das Internet macht die Sache einfacher. Schnell das Bild von einem Model geklaut, ein Sixpack, das so auf dem eigenen Bauch nie zu finden sein wird. Ein tolles Dekolleté? Kein Problem, alles da, wenn man die Google Bildersuche bemüht. Dass der Schuss spätestes beim ersten Treffen nach hinten losgeht, ist egal. Bis dahin ist der Gegenüber überzeugt und das Aussehen nicht mehr so wichtig. Klar, es gibt auch ehrliche Profilbilder. Aber was ist mit den Aussagen? Ein besserer Job, ein tolles Haus, am Scheitern der letzten Beziehung war natürlich der Ex schuld. Wer sonst? Lügen können Menschen natürlich auch außerhalb des Internets, aber dort haben wir ihre Mimik, ihre Körperhaltung, die verschiedenen Stimmlagen, die Aussagen entweder bestätigen oder uns zweifeln lassen. Emojis sind dafür kein Ersatz. Und dann sind da noch die Catfishe. Menschen, die uns nicht nur beschwindeln, sondern bewusst in eine Falle locken. Die eine vollkommen andere Persönlichkeit erfinden und im Internet damit auftreten. Unter Umständen stimmt vom Alter über Geschlecht bis zum Aufenthaltsort nichts, gar nichts. Diese Menschen bekommen einen Kick daraus, andere zu täuschen, auf der Suche nach einer Beziehung oder der großen Liebe sind sie nicht.

 

Aber selbst wenn wir die Sorgen, Vorsicht und Paranoia auf Seite schieben und davon ausgehen, dass unser Gegenüber die Wahrheit sagt, wie sollen wir uns festlegen, wenn die Auswahl doch so groß ist? Wir swipen, chatten, klicken, pushen, chatten weiter, liken, vergeben Herzen. Wann hören wir auf damit? Nach dem ersten echten Date? Nach dem zweiten? Wer sagt uns, dass hinter dem nächsten Swipe nicht ein noch viel besserer Kandidat steckt? Der richtige oder die Liebe auf den ersten Klick. Und wann ist überhaupt der richtige Zeitpunkt für das erste Treffen außerhalb der virtuellen Realität? Was ist, wenn wir nicht den Erwartungen entsprechen, die wir bei unserem Gegenüber aufgebaut haben. Es muss ja nicht zwingend der andere uns enttäuschen, umgekehrt ist das auch vorstellbar. So ist das eben, wenn man nicht in einer Bar sitzt oder auf dem Festival tanzt – wenn der Traummann nicht sofort sieht, was er bekommt, unsere Stimme hören, uns in die Augen schauen kann, sondern sich stattdessen eine ganz eigene Vorstellung macht – darüber wie wir klingen, wenn wir lachen, statt einen Smiley zu schicken.

Es ist leichter geworden, jemanden kennenzulernen

weil die Möglichkeiten beinahe unendlich sind. Aber es ist schwerer geworden, weil wir vertrauen müssen, die Wahrheit zwischen den Zeilen erspüren, uns leiten lassen von Worten und nicht von unserem Gefühl, der Chemie, die sofort spürbar wird, wenn wir uns gegenüberstehen und einander ansehen.