Liebe, Trennung

Auseinandergelebt

Liebe, Trennung

Wir haben uns auseinandergelebt

hören wir häufig wenn Paare sich trennen. Er liebt das Landleben, sie den Trubel der Stadt. Sie möchte Museen besuchen, Kultur genießen, er will weiterhin Sport machen, gemeinsame Abende zu Hause verbringen. Unüberbrückbare Differenzen heißt das Problem im Amerikanischen Scheidungsformular und so scheint es auch. Wie sollen zwei Menschen, die vollkommen unterschiedlich sind, an ihrer Liebe festhalten? Oder schlimmer noch: Wieso sollten sie zusammen bleiben, wenn die Unterschiede diese Liebe längst erstickt haben.

Gegensätze ziehen sich an

heißt es, aber offenbar nicht, wenn vorher Gemeinsamkeiten die Basis der Beziehung waren. Wenn die Liebe fort ist, die gemeinsame Zukunft nicht mehr in Stein gemeißelt ist, ja, noch nicht einmal mehr in den Sternen steht, müssen wir loslassen, so schwer das auch ist. Wir müssen das Vermissen aushalten, uns aufrappeln und neu anfangen. Eine andere Wahl haben wir nicht.

Ihr könntet sagen: Doch! Wir können um unsere Liebe kämpfen, sie aus den Tiefen des Vergessens hervorgraben und sie wieder auf soliden Grund stellen. Ein Neuanfang, nicht alleine, sondern zu Zweit. Klar, das ginge, aufgeben, ohne es zu versuchen, ist sicher nicht die beste Option oder zumindest eine, die mit Bereuen einhergeht. Aber was wird aus den unüberbrückbaren Differenzen? Wie überbrücken wir einen Graben, der sich, ohne dass wir es gemerkt haben, zwischen uns und unserem Herzmenschen aufgetan hat? Die Antwort von Paartherapeuten und Beziehungsratgebern scheint einfach „Kompromisse eingehen“ und doch ist sie das nicht. Denn jeder Kompromiss ist in diesem Fall kein Füllstoff für den Graben, sondern vielmehr eine wackelige Brücke, die nach jedem Begehen wieder in sich zusammenfällt. Natürlich könnten die Wochenenden aufgeteilt werden zwischen Ausflügen aufs Land und Besuchen in der Stadt. Das wäre fair. Jeder würde zu seinem Recht kommen und die unliebsamen Beschäftigungen würden sich mit den favorisierten die Waage halten. Ein Kompromiss eben. Aber sollte die Liebe wirklich ein Kompromiss sein? Was wird aus den übrigen Problemen? Schauen die beiden abends fernsehen oder diskutieren sie über das Weltgeschehen? (Klar auch hier könnten sie abwechseln, einen Plan festlegen, aber diese Idee klingt nicht sehr verlockend, oder?) Wohnen sie auf dem Land oder in der Stadt? Ein Kompromiss würde bedeuten, sie hätten zwei Wohnorte und tatsächlich hörte ich unlängst von einem solchen Paar. Er wohnt auf dem Land, sie hat ein Haus in der Stadt. Dort verbringt sie die Woche und am Wochenende ist sie bei ihm. Er fährt niemals in die Stadt, der Trubel ist ihm zu viel. Die beiden halten an ihrer Liebe fest und haben sich doch längst getrennt. Die Kompromisse überbrücken den Graben nicht, sie füttern die Illusion von Liebe.

Wer mich kennt, weiß, dass ich an die Liebe glaube, daran, das sie halten kann. Für immer vielleicht. Und deshalb frage ich mich, woher kommt der Graben und wieso sehen wir nicht, dass er sich zwischen uns frisst, unbemerkt aushöhlt, was einmal eine solide Beziehung war? Vielleicht liegt genau darin der Knackpunkt. Wird aus einem Landei tatsächlich überraschend ein Stadtmensch oder war der Umzug aufs Land von Beginn an ein Kompromiss, beflügelt durch die rosarote Brille der ersten Verliebtheit? Entdecken wir wirklich mitten im Leben, dass wir uns für Literatur interessieren und nicht für Sport und Natur? Oder wussten wir das eigentlich schon immer und wollten uns das nicht eingestehen, weil der neue Partner so reizvoll war? Wenn wir verliebt sind, schauen wir über vieles hinweg, auch über die eigenen Bedürfnisse. Wir wollen gefallen, dem anderen vieles, möglichst sogar alles recht machen. Und das rächt sich irgendwann, spätestens dann, wenn wir die Reißleine ziehen müssen, bevor wir in den Graben taumeln und uns selbst verlieren. Wenn es soweit ist, ist es zu spät. Es sei denn, wir wollen ein Leben voller Kompromisse führen, selbst zurückstecken und den anderen gleichzeitig zwingen, einen Teil von sich für unsere Interessen aufzugeben. Ob es sich lohnt, festzuhalten, muss jeder für sich selbst entscheiden. Bevor wir loslassen, um unser Glück zu suchen, sollten wir jedoch einen kritischen Blick auf die Unterschiede zwischen uns und unsrem Herzmenschen werfen. Sind sie wirklich unüberbrückbar oder waren sie schon immer Teil der Dynamik, die die Beziehung ausmacht, Gegensätze, die das Miteinander spannend und einzigartig machen? Wenn das so ist, sollten wir nicht zulassen, dass sie uns auseinandertreiben, die solide Brücke, die wir beim Kennenlernen gebaut haben, einreißen. Denn das passiert nur, wenn wir es zulassen. Was nur mit Kampf, Tränen und Klebeband zusammenhält, sollten wir loslassen, aber wenn wir die Differenzen annehmen können und auch ohne die rosarote Brille noch immer Liebe verspüren, sollten wir den Graben mit Erinnerungen füllen und nicht mit Streit darüber, wann wir das letzte Mal eine Vernissage besucht oder einen Waldlauf gestartet haben.

Und vielleicht ist es dann gar nicht so schlimm, wenn sie eine Ausstellung anschaut, während er durch den Winterwald joggt und sich beide am Ende des Tages im Haus am Stadtrand wiedertreffen.