Eine Freundin hat ein Mädchenzimmer. In Pink, mit allem, was dazu gehört inklusive Basteltisch und Leseecke. Ihr Mann hat passend dazu eine echte Männerhöhle. Die beiden geben sich Freiräume für ihre Hobbys und für Treffen mit Freunden, Mädelsabende und Partys mit den Jungs.
Ein anderes Paar macht alles zusammen, wirklich alles. Sie arbeiten in der gleichen Firma, haben zwar nicht dieselben Hobbys, bestreiten sie aber dennoch gemeinsam. Sie gehen zusammen aus, verbringen jede freie Minute miteinander. Sie sind sich selbst genug und haben deshalb auch allein geheiratet. Nur die beiden. Freiräume brauchen sie nicht, das Vermissen wäre zu groß.
Ich nenne solche Beziehungen symbiotisch. Die Leben dieser Menschen sind so ineinander verflochten, dass sie ohneeinander nicht leben könnten. Sie sind zu einer Einheit geworden, untrennbar und unauslöschlich, wahrscheinlich sogar über das Ende hinaus. Alle, die nicht dieser symbiotischer Beziehungstyp sind, bekommen sicher allein beim Lesen der letzten Zeilen Beklemmungen. So eng mit einer einzigen Person verbunden zu sein, nicht alleine atmen, leben, sein zu können, löst Fluchtinstinkte und vielleicht die eine oder andere Panikattacke aus. Sich selbst in einer anderen Person zu verlieren, der Gedanke erscheint schrecklich. Wie soll man das eigene Selbst bewahren, wenn es doch vom anderen abhängig ist? Und überhaupt, wird so viel Nähe nicht langweilig? Stumpft die Liebe nicht ab, wenn sie ihre Besonderheit verliert?
Nähe festigt die Liebe,
lautet das Gegenargument. Wer keine Nähe zulässt, erfährt keine Vertrautheit, keine Sicherheit in der Beziehung, kann sich nicht fallenlassen. Beziehungen, die auf Distanz bauen, bleiben im Stadium der Verliebtheit hängen, in der Aufregung, sich zu verabreden, sich gegenseitig von den Erlebnissen des Tages zu erzählen. Das ist spannend, bis es vorbei ist. Bis aus der lieb gewonnenen Freiheit Entfremdung wird, bis beide völlig verschiedene Leben führen, auch wenn sie den Haushalt und Kinder teilen. Die Balance zu halten zwischen dem selbstständigen Leben und dem gemeinsamen ist schwer und manchmal unmöglich. Genauso wie jede Sekunde des eigenen Seins auf eine zweite Person abzustimmen. Das kann ermüdend sein, besonders wenn beide sich einen Moment lang vollkommen verschiedene Dinge wünschen. Des Rätsels Lösung scheint auf der Hand zu liegen: Paare sollten eine gesunde Mischung zwischen beiden Konzepten finden. So viel Zeit miteinander verbringen wie möglich und ebenfalls Zeit getrennt voneinander einplanen.
Klingt logisch, oder?
So einfach ist es leider nicht. Denn wer der symbiotische Typ ist, empfindet die Alleinzeit als erzwungen und unnatürlich. Es erscheint unlogisch an Beziehungskonzepten festzuhalten, die sich nicht gut anfühlen, nur weil andere die Nase darüber rümpfen. Sagen, Freiräume seien wichtig und die einzige Möglichkeit, dauerhaft eine glückliche Beziehung, ja sogar ein glückliches Leben zu führen. Wer hat diese Regel eigentlich erfunden? Die Lehre von Mädchenzimmern und Männerhöhlen, von Herrentouren und Beautywochenenden, von Partys mit den Jungs und Tupperabenden. Versteht mich nicht falsch, wer Freiräume braucht, sollte sie sich nehmen. Das ist gut und richtig. Genauso wahr ist der Glaube, dass zwei mehr sind als die Verbindung ihrer Teile, und die Überzeugung, dass sie ein Ganzes ergeben, das besser ist, größer, wichtiger.
Die Gewissheit, dass Liebe der Mathematik widerspricht und eins plus eins gleich eins ist.
Das Kunststück liegt wohl darin, die eine Person zu finden, die sich genau die Zeit an Zweisamkeit wünscht, die wir zu geben bereit sind.