Willst Du etwas gelten, mach Dich selten.
Diesen und ähnliche Sprüche haben wir alle bereits gehört. Sie wollen uns sagen, dass wir uns rar machen sollen, weil Rares natürlich wertvoller ist, als Dinge, die wir andauernd um uns haben. Auf Menschen bezogen fällt mir dazu noch eine Redewendung ein.
Wir wissen erst, was eine Person uns bedeutet, wenn wir sie vermissen.
Das stimmt natürlich, ist meiner Meinung nach in Zusammenhang mit dem Rarmachen aber Unsinn. Filme, Bücher und Frauenzeitschriften lehren uns seit Jahrzehnten eines: Sich zu Verlieben, ja die Liebe selbst, ist ein Spiel, bei dem es darum geht, die richtige Strategie zu finden, um den Partner anzulocken, verliebt zu machen, ehe er weiß, wie ihm geschieht, und, wenn möglich, für immer zu halten. Deshalb sollen wir uns nach dem ersten Date nicht melden, sondern warten, bis er sich meldet. Und wenn wir doch anrufen oder eine Nachricht schreiben wollen, müssen wir mindestens drei Tage ausharren und möglichst nonchalant wirken, vielleicht sogar ein bisschen desinteressiert. Unser Gegenüber soll schließlich nicht den Eindruck bekommen, wir könnten übereifrig sein oder klammern. Selbstverständlich gibt es weitere Regeln, für den ersten Kuss, für das erste ‚Ich liebe Dich’, für einfach alles. Anzuwenden sind diese Richtlinien auf ‚Normalos’. Für Bad Boys oder Beziehungsphobiker gelten verschärfte Maßnahmen. Diese Typen müssen förmlich in eine Falle gelockt werden, natürlich indem wir uns genauso cool geben, wie sie es sind, ohne das sie merken, was geschieht. Dann, kurz bevor es zu spät ist, erkennen sie, dass sie bereits mitten in einer Beziehung stecken, uns lieben und nicht mehr ohne uns leben können. So und nicht anderes haben wir es schon hunderte Male im Kino gesehen und in unseren Lieblingsbüchern gelesen.
Nur hält sich das Leben ungern an Regeln, die Hollywood oder ein paar Buchseiten vorgeben, und Menschen sind eben keine Romanfiguren. Die Liebe bekommt ihr Happy End nicht zwangsläufig und schon gar nicht wenn wir aus ihr ein Strategiespiel machen. Lehren uns nicht dieselben Bücher und Filme, dass Ehrlichkeit und Vertrauen das Wichtigste in einer Beziehung sind? Wie aber wollen wir ehrlich sein, wenn wir so tun, als ob wir nur beiläufig interessiert wären, wenn wir versuchen, unser Gegenüber zu überlisten oder sogar in eine Falle zu locken? Das will sich mir nicht erschließen. Klar, Ihr könnt jetzt antworten: Das ist doch nur der Anfang, danach kommt die Aufrichtigkeit. Sobald alles in trockenen Tüchern ist und wir uns sicher fühlen. Aber wie soll das funktionieren? Die Person, die eben noch cool und lässig auf eigenen Beinen stand, ist auf einmal eine andere? Nicht unbedingt schlechter nur anders. Zum Beispiel fürsorglich, auf der Suche nach Nähe, eben der symbiotische Typ. Mir will sich einfach nicht erschließen, warum wir so tun sollten, als wäre wir jemand anderes, nur um die Person, für die unser Herz schlägt, zu beeindrucken. Wie sollen wir erklären, dass alles nur ein Spiel, ein großes Theater war, wenn unser Herzmensch sich in ebendiese Person verliebt hat? Oder machen wir einfach weiter mit dem Schauspiel, den Telefon-, Text-, Kussregeln bis ans Ende unserer Tage? Vielleicht gibt es auch eine Regel zum langsamen Ausschleichen der falschen Charaktereigenschaften, einen weiteren Trick, den der andere hoffentlich nicht bemerkt, bevor er unser echtes Ich genauso liebt wie das gespielte.
Versteht mich nicht falsch, ich behaupte nicht, dass es super ist, direkt nach dem ersten Date hundert Nachrichten zu schreiben und auf ein zweites Treffen am nächsten Tag und die Hochzeit im Sommer zu drängen. Aber ich plädiere dafür, dass jeder er selbst sein darf, in der Hoffnung genau der richtige zu sein. Und wenn es nicht passt, wird es nicht besser, indem wir spielen, uns rar machen und in Mysterien hüllen. Für den Moment kann das gut gehen, aber auf Dauer nicht und darum geht es doch. Ich kenne Paare, die haben sich auf den ersten Blick verliebt. Hätten sie auf Regeln bestanden, hätten sie die Magie, die vom ersten Augenblick zwischen ihnen geherrscht hat, im Keim erstickt. Und das gilt nicht nur für diese Paare, sondern meiner Meinung nach für alle. Was ist wenn beide das gleiche Spiel spielen, weil sie glauben, es müsse so sein? Wenn sie nicht anrufen, obwohl sie wollen, nicht über Gefühle sprechen, obwohl sie ihnen auf der Zunge liegen? Wie sollen diese beiden zueinanderfinden? Sie vertun die Chance auf etwas Großes, auf das für immer vielleicht, weil sie glauben, was andere behaupten, um 120 Minuten, 250 Seiten oder den Beziehungsratgeber zu füllen.
Liebe ist Liebe und braucht keine Strategie. Sie will echt sein, unverblümt, aufrichtig von Anfang an.