Schön ist nicht gleich schön, gefallen macht schön, heißt es. Klingt logisch, schließlich sind optische Vorlieben genauso Geschmackssache wie Musik, Essen oder eben Kunst. Die einen mögen Kurven, andere nicht, die einen stehen auf blond, andere finden dunkelhaarig interessant. Die Liste lässt sich ewig weiterführen und die Logik dahinter ist bekannt, nur hat der Spruch eigentlich gar nichts damit zu tun. Was die meisten für eine Erklärung der Typfrage halten, soll eigentlich bedeuten, dass wir einen Menschen schön finden, wenn wir ihn mögen, und andersherum unattraktiv, wenn er uns unsympathisch ist. Soziologen haben auf diese These unendlich viele Stunden der Forschung verwendet und sind zu – wie sollte es anders sein – uneinheitlichen Ergebnissen gekommen. Ich glaube, das liegt daran, dass die These einerseits viel Wahrheit enthält und andererseits falsch ist. Klingt unlogisch? Ist es aber nicht. Ihr kennt das sicher: Ihr seht einen schönen Menschen, sagen wir eine Schauspielerin oder ein Model, in einer Zeitung oder in einem Film und seid begeistert. Dann lest oder hört Ihr ein Interview und die Person stellt sich als hochmütig, intolerant oder schlicht vollkommen unnett heraus. Wenn Ihr sie das nächste Mal seht, wirkt sie mit Sicherheit weniger attraktiv auf Euch als vor dem Interview. Kein Wunder, selbst wenn die Person immer noch genauso gut aussieht wie zuvor, überschattet der unsympathische Charakter Euren Gesamteindruck. Genau das beschreibt ‚gefallen macht schön’ nur eben andersherum. Wenn wir jemanden wirklich mögen, finden wir ihn schön. Ist das wirklich so? Eher nicht. Genau wie das Model wird die Person nicht schöner oder hässlicher durch mögen oder nichtmögen, wir beurteilen die Tatsache nur anders. Schönsein tröstet nicht über einen miese Charakter hinweg und ein großartiger Mensch muss keine Topmodelqualitäten haben, damit wir ihn attraktiv finden. So einfach ist das. Das heißt aber nicht, dass wir plötzlich blind für eine zu große Nase, kurze Beine oder struppige Haare sind. Das alles ist nur nicht so wichtig, wie ein guter Charakter und wird zur Nebensache. Alles andere wäre auch verrückt. Wenn wir uns unseren Herzmenschen allein nach dem Aussehen aussuchen würden, müssten wir schon riesiges Glück haben, die richtige Optik inklusive der richtigen Charaktereigenschaften zu finden. Stattdessen suchen wir nach der gemeinsamen Chemie, dem richtige Miteinander. Genau deshalb ist ‚gefallen macht schön’ falsch, obwohl die These auf den ersten Blick, das Phänomen hervorragend zu erklären scheint. Wir finden den Menschen nicht schöner, weil er nett ist, sondern beachten eine große Nase (nicht dass irgendetwas daran schlecht wäre) nicht, weil wir ein gutes Gespräch mit unserem Gegenüber führen können oder weil wir den einen oder anderen vermeintlichem Makel niedlich finden, wenn ein liebgewonnener Mensch darüber errötet.
Soweit die Theorie. Beim Kennenlernen hat das Ganze allerdings einen riesigen Haken. Wer auf der Suche ist, hat im ersten Augenblick nur die Optik als Maßstab und wendet sich in erster Linie den Menschen zu, die attraktiv wirken. Mit unserem einnehmenden Wesen können wir also erst punkten, wenn das Aussehen zumindest einigermaßen überzeugt hat. Blöd. Ich weiß. Leider haben wir nicht alle Modelmaße und das ist auch nicht weiter schlimm. Denn zum Glück gibt es neben optisch geprägte Dating-Apps noch unzählige andere Möglichkeiten, den für uns perfekten Menschen zu treffen – zum Beispiel im Job, wo Charakter weit wichtiger ist als Aussehen, oder beim Sport, beim Fotografiekurs, über Freunde von Freunden. Wenn wir uns das nächste Mal wieder über unser Aussehen stressen, sollten wir kurz innehalten und überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, an der einen oder anderen schlechten Eigenschaft zu arbeiten als am perfekten Outfit oder der richtigen Lidschattenfarbe, denn die tröstet am Ende nicht über ständiges Zuspätkommen, dauerndes Meckern oder Neven aufreibende Ungeduld hinweg.