Hochzeit, wilde Ehe, anders sein

Anders sein

Hochzeit, wilde Ehe, anders sein

Wenn Du besser kochen könntest, dann heiratet Dich Dein Liebster bestimmt bald.

Kein Witz, diesen Satz habe ich mehr als einmal gehört, genau wie viele andere Ratschläge dazu, was ich tun oder lassen sollte, damit mein Herzmensch mich endlich heiratet. Der Gedanke, dass ich es sein könnte, die nicht heiraten will, wir uns über das Thema einig sind oder die Hochzeit längst geplant sein könnte, kommt offenbar niemanden. Mal ganz davon abgesehen, dass die Fähigkeit, einen Sonntagsbraten zu kreieren oder die perfekten Vorhänge für das Wohnzimmer auszusuchen, spätestens seit den Sechziger Jahren nicht mehr direkt mit Heiratstauglichkeit verbunden ist. Und trotzdem hören die vermeintlich gut gemeinten Ratschläge nicht auf. Natürlich sollte ich in meinem Alter längst verheiratet sein, 1,5 Kinder haben, ein Eigenheim und die perfekten Vorhänge. Was ich außerdem in meinem Alter und als Durchschnittsbürger erlebt haben sollte, ist eine Scheidung, aber das sagt mir natürlich keiner der Ratgeber. Ich soll mich einpassen, mit allen Konsequenzen, immerhin haben sie das auch gemacht, weil es gut, weil es normal ist. Was aber, wenn ich gar nicht normal sein will? Was, wenn ich keine Scheidung durchmachen möchte, weil ich meinen Herzmenschen an meiner Seite behalten möchte, am liebsten für immer? Ihr könntet sagen, eine Scheidung ist nicht garantiert und Ihr hättet recht, immerhin werden nur die Hälfte aller Ehen geschieden und auch ein Leben ohne Trauschein ist keine Garantie für ein Happy Ever After. Aber ein Argument für die Ehe ist das nicht. Überhaupt, was soll das eigentlich mit den Ratschlägen?

Wenn Du Dich ein bisschen anstrengst, findest Du garantiert einen richtigen Job.

Tatsächlich? Ich habe einen Job, ich bin Autorin, Schreibtante, Geschichtenerzählerin. Nur weil ich morgens nicht ins Büro fahre, sondern mich gemütlich zu Hause an den Schreibtisch setze, heißt das nicht, dass ich nicht arbeite. Es heißt nur, dass Du nicht verstehst, dass anders auch gut und richtig sein kann. Ich muss nicht ins Büro fahren, damit andere sich besser fühlen und ich muss nicht heiraten, damit diese Menschen sich in ihren Lebensentscheidungen bestätigt fühlen. Schließlich würde mir auch niemand dazu raten, fremdzugehen, die Vorhänge nicht passend zur Tapete zu wählen oder den Braten zu verkohlen, damit ich meine statistische Pflicht gegenüber der Scheidungsrate erfüllen kann, oder?

Anders zu sein ist anstrengend, nicht weil wir anderen laut und krawallig sind, nein, ich bin still und mache mein Ding, sondern weil wir der Norm auf die Nerven gehen, weil wir uns nicht einpassen in das Gefüge, das sie so sorgfältig pflegen. Über wilde Ehen wird die Nase gerümpft, über Mütter, die nicht arbeiten, über Väter, die keine Karriere, sondern Familienzeit anstreben. Vegetarier werden von Fleischessern belehrt und gelegentlich sogar beschimpft, obwohl ihr nicht Fleischessen, die Tellergerichte der anderen nicht beeinträchtigt, nur deren Sichtweise auf das Leben. Wer anders ist, zeigt eine Möglichkeit auf. Führt denen, die sich einpassen, an alle Regeln halten und sich jedes Etikett aufkleben, das zur Verfügung steht, vor Augen, dass sie eine Wahl haben. Nämlich anders zu sein und trotzdem glücklich.

Versteht mich nicht falsch, ich finde Hochzeiten toll und Ehen, die ewig halten, wundervoll. Ich verurteile niemanden, der Fleisch ist, von neun bis fünf ins Büro geht oder 1,5 Kinder in die Welt setzt, ein Eigenheim baut und am Ende des Tages gemütlich vor dem Fernseher sitzt. Im Gegenteil, zufrieden zu sein, ist das Beste, was uns passieren kann. Was ich mir jedoch wünsche, ist anders sein zu können, ohne mich rechtfertigen zu müssen, ohne mitleidige Blicke, weil mein Liebster mich nicht heiraten will und mein Talent für Vorhangauswahl nicht ausgeprägt genug ist, weil ich kaum Fernsehen schaue, in meinem Leben erst zwei Tatorte und noch nie eine Folge des Bachelors gesehen habe und weil ich trotz eines Studiums, mit dem keiner etwas anfangen kann, einen Job gefunden habe, den ich gerne mache. Und von der Liebe will ich gar nicht erst anfangen, die fühlt sich nämlich großartig an, auch ohne Trauschein und bestimmt auch dann noch, wenn wir uns eines Tages doch für eine Hochzeit entscheiden.