Ich bin so, wie Du bist

Als ich mit einer Freundin ihre CDs aussortierte, war ich überrascht, wie viele unterschiedliche Musikrichtungen und Künstler sich in ihrer Sammlung befanden. Von Hardrock über Reggae bis hin zu Hits aus den Achtzigern war wirklich alles dabei. Auf mein Erstaunen darüber, dass ich nach all den Jahren unserer Freundschaft nicht wusste, dass sie Hardrock hört, zuckte sie nur mit den Schultern und antwortete: „Mark mochte diese Musik.“ Mark war ihr Exfreund, ihre erste große Liebe. Während wir sortierten, wanderten immer mehr CDs auf de Aussortiert-Stapel und nur eine landete dort, wo der Stapel zum Behalten entstehen sollte. Von ihren rund 50 CDs mochte meine Freundin nur eine. Ich war perplex, wie sie so viel Geld für etwas ausgeben konnte, das ihr im Grunde gar nicht gefiel. Doch meine Nachfrage erntete so viel Erstaunen, dass ich es dabei beließ. Eine Woche später gab sie ihr neues Hobby auf, weil sie es doof fand, genau wie ihren Exmann, den sie Monate zuvor verlassen hatte. Stattdessen kaufte sie Dauerkarten fürs Theater, die sie mit ihrem neuen Freund nutzen wollte. Bisher waren wir zusammen nur einmal im Musical gewesen, weil sie Theater langweilig fand.

Warum ich diese Geschichte erzähle? Nicht weil ich gestehen will, dass ich die Männer an ihrer Seite darum beneide, weil sie mit ihnen unternimmt, wozu sie im Kreise ihrer Freunde nie Lust hatte, auch nicht weil ich zugeben möchte, wie wenig ich sie kenne, nein, ich will zeigen, wie wenig manche Menschen sich selber kennen und wie sehr ihr Geschmack, ihre Hobbys, selbst ihr Äußeres von dem Partner an ihrer Seite abhängen. Sie verändern sich komplett, wenn der Partner an ihrer Seite sich ändert. Der Mann mit Vorliebe fürs Theater hatte, mochte Kleider. Deshalb verbrachten meine Freundin und ich in den nächsten Wochen viel Zeit damit, Kleider fürs Büro, die Freizeit und natürlich das Theater und Dinner Partys zu shoppen. Eine neue Garderobe kostet Geld. Der Mann entpuppte sich als Mogelpackung und verschwand innerhalb einer Theaterspielzeit vom Radar. Was folgte war ein lieber Kerl, easy going und für jeden Spaß zu haben. Die Kleider waren genauso schnell verschwunden wie der unnütze Kerl, ersetzt durch Jeans, Hoodies und Sneakers.

Manche mögen einwenden: „Das ist doch alles nicht schlimm. Das sind doch nur Klamotten und seinen Geschmack darf man ändern.“ Und Ihr habt natürlich recht. Ich trage auch nicht mehr, die Kleidung, die ich als Teenager gut fand. Doch hier liegt der Fall anders. Der Geschmack, das ganze Leben, ändert sich nicht mit dem Alter oder dem neuen Job, sondern allein mit dem neuen Mann. Und meine Freundin ist damit nicht allein. Selbst prominente Frauen, die aufgrund ihres Erfolges finanziell unabhängig sind und auch beruflich einen Status erreicht haben, der ihnen erlaubt frei zu entscheiden, richten sich nach ihrem Mann. Mit dem einen sind sie Familienmensch und am liebsten zu Hause, mit dem anderen abenteuerlustig und immer für einen Roadtrip zu haben und mit dem nächsten interessieren sie sich plötzlich für Kunst und machen die Nacht auf einer Party nach der anderen zum Tage. Ihr könntet sagen: „Na und? Wenn es sie glücklich macht, sollen sie sich doch verändern, so oft sie wollen, sich immer wieder neu erfinden, Neues entdecken.“ Das klingt spannend und aufregend, wer möchte nicht zehn verschiedene Leben leben, statt nur das eine immer gleiche? Nur sollten diese Leben die eigenen sein, nicht die Idee eines anderen. Denn was passiert, wenn aus welchem Grund auch immer kein Mann zur Hand ist, nach dem diese Menschen sich richten können? Wie füllen sie diesen Leerraum? Mit der verzweifelten Suche nach dem nächsten Mann? Wahrscheinlich. Die Ungewissheit darüber, wer man selbst ist und wohin der eigene Weg führt, muss furchtbar sein. Gut wäre sicher, diesen Zustand auszuhalten, solange bis, sich ganz von selbst zeigt, was gut tut und was nicht, was gefällt oder missfällt, welches Lied im Radio wirklich zum mitsingen und tanzen anregt, selbst wenn es niemand anderem so geht. Aber solche Menschen nehmen sich meist nicht die Zeit, zu sich selbst zu finden, vielleicht weil sie glauben, es gäbe nichts zu entdecken oder weil sie Angst haben, ihre eigene Persönlichkeit genüge nicht, um den Partner an ihrer Seite zu halten. Und das macht mich traurig.

Meine Freundin und ich haben uns schon lange aus den Augen verloren. Ich war überrascht zu hören, dass sie Kinder bekommen hat, denn die, da war sie sich sicher, wollte sie nie. Doch Daniel wollte Kinder und dann wollte sie das irgendwie auch.