“Hallo Nicole, ich habe Deinen Roman Augenblicklich ewig gelesen und fand ihn furchtbar. Die Vorstellung, mein ganzes Leben mit einer Person zu verbringen, ist langweilig. Und gleich mehrere Leben mit demselben Mann? Grausam. Da wäre ich lieber für immer tot.”
Diese E-Mail ließ mich sprachlos zurück. Ich war baff. Nicht weil mein Roman der Leserin nicht gefallen hat. Das passiert und ist vollkommen okay. Was mich erstaunt hat, ist, wie vehement sie die Idee, den einen Seelenverwandten zu finden ablehnt. Suchen wir nicht alle den einen Menschen, der richtig und perfekt für uns ist? Haben wir nicht genau deshalb mit Tränen in den Augen Edward Cullens Hochzeitsrede gelauscht?
Alle Zeit der Welt mit dir, wäre nicht genug, aber beginnen wir mit für immer.
Offenbar nicht. Manche Menschen, und meine Leserin zählt wohl dazu, sind sich selbst genug. Sie sehnen sich nicht nach einem Mann/einer Frau, die sie für immer begleiten. Ihnen reicht ein Partner für das nächste Abenteuer, den nächsten Lebensabschnitt, für den einen Moment. Diese Menschen sind anscheinend mit sich selbst zufrieden, mit sich im Reinen oder – der Gedanke lässt sich nicht verdrängen – sie haben die eine Person, ihren Seelenverwandten, noch nicht gefunden. Wissen nicht, wie wahre Liebe sich anfühlt, diese Verbindung, die nichts auf der Welt trennen, die nichts anderes überstrahlen kann. Würden sie dieses Gefühl kennen, würden sie nicht loslassen wollen, nicht in diesem Leben und auch nicht im nächsten. Oder?
Dann erinnere ich mich an ein Filmzitat (Der Film will mir nicht mehr einfallen und ich bin dankbar für Hinweise.)
Wir suchen nicht nach der großen Liebe, sondern nach einem Menschen, der unser Leben bezeugt.
Ist es das? Suchen wir nicht nach einem Partner, sondern nach einem Zeugen, jemandem, der dabei ist, wenn wir Großes vollbringen oder Kleines. Der neben uns sitzt, wenn wir die Geschichte erzählen, mit dem Kopf nickt, an den richtigen Stellen, kleine Anekdoten ergänzt und bestätigt, wie großartig, dramatisch, richtig unser Leben ist. Für unsere Kindheit erledigen das unsere Eltern, Großeltern, Geschwister. Unsere Teenagerjahre teilen wir mit besten Freunden, die Ausbildung, das Studium mit Kollegen und Kommilitonen. Aber was passiert danach? Die Arbeitskollegen bleiben, aber die Eltern sind längst nicht mehr Teil jeder Erfahrung. Und Freunde? Freundschaften verändern sich, zerbrechen, verlieren sich in unterschiedlichen Lebenswegen. Ist die Sehnsucht, das Leben mit dem einen Menschen zu verbringen, vielleicht nichts weiter als der egoistische Wunsch danach nicht unwichtig zu sein? Nicht zu verschwinden, ohne dass jemand die wichtigsten Erinnerungen konserviert? Diese Vorstellung macht mich traurig und ich weigere mich, ihn zu akzeptieren. Nennt mich naiv, aber ich möchte die große Liebe nicht klein machen. Wahrhaftigkeit nicht auf Egoismus reduzieren. Ich brauche niemanden, der mein Leben bezeugt. Ich weiß wer ich bin, besser als jeder andere, kenne mich genauer als jede andere Person. Und das ist in Ordnung. Ein Seelenverwandter muss nicht meine Gedanken lesen, mir sagen, was ich tun soll, mich auf Händen tragen. Er soll mein Leben mit mir teilen und seins mit mir. Er soll neben mir aufstehen, wenn ich kämpfen möchte, neben mir liegen, wenn ich träumen möchte. Mich auffangen, wenn ich falle und in meinen Armen Halt finden, wenn das Leben ihm die Beine wegzieht. Nicht weil ich das will, sondern weil wir beide es fühlen. Wahre Liebe besteht nicht aus zwei Teilen eines Ganzen, sie macht aus diesen beiden Teilen etwas Neues, etwas Stärkeres, etwas Unumstößliches. Und wenn diese Liebe verschwindet, war sie nicht das, wofür wir sie gehalten haben. Wenn einer geht, sich neu orientiert, war er nicht der Seelenverwandte, sondern ein Begleiter für ein Stück des Weges. Auch das ist okay. Nicht jeder von uns findet den einen Menschen, das Für Immer – das bis ans Ende aller Tage. Aber die Vorstellung ist verführerisch. Nicht zuletzt deshalb sind die Geschichten von der ewigen Liebe so erfolgreich. Und dann drängt sich noch ein andere Gedanke in mein Bewusstsein und ich möchte antworten:
“Liebe Leserin, warum soll ein anderer Mensch dafür zuständig sein, mein Leben spannend zu gestalten? Bin ich nicht selbst für die Abenteuer verantwortlich genau wie für die ruhigen Momente? Ruhe vielleicht ich in mir selbst und bin mir selbst genug, wenn ich nicht die Abwechslung suche, die mein Gegenüber mitbringt, sondern Herausforderungen in meinem eigenen Leben?”
Mir gefällt die Idee, Abenteuer gemeinsam zu bestreiten, weil keine Aufgabe zu groß erscheint, wenn wir sie zu zweit angehen. Nicht weil zwei stärker sind als einer. Nein, weil die eine Person nicht urteilt, wenn ich schwach bin, nicht den eigenen Vorteil sucht, sondern das gemeinsame Ziel, weil ich ihr getrost den Rücken zudrehen kann. Ich kann meine eigene Stärke entfalten, wenn ich weiß, dass da jemand ist, der mir aufhilft, wenn ich falle.
Ich liebe dich. Für immer. Und jeden Tag danach.
Wenn ich mir vorstelle, nicht ein Leben zu leben, sondern viele mit all ihren Höhen und Tiefen, Stolpersteinen und Wagnissen, dann kann ich nur hoffen, in jedem dieser Leben, den Menschen an meiner Seite zu wissen, der Rücken an Rücken mit mir den Degen schwingt, das Space Shuttle lenkt, während ich versuche die Sternenkarte zu entziffern, der mit mir lacht, wenn wir uns in den Wirren der Zeit verirren. Einen Menschen, der vielleicht nicht perfekt, aber genau richtig für mich ist. Die ganz große Liebe eben.