Habt Ihr Euch schon einmal gefragt, wohin die Liebe geht, wenn sie verschwindet?
Ich meine nicht, wenn sie Euch entrissen wird. Wenn der Mensch, der versprochen hat, Euch zu lieben, Euch stattdessen das Herz bricht oder es gleich ganz herausreißt. Diese Liebe verschwindet nicht, derjenige, der Euch verlässt, nimmt sie mit und hinterlässt an ihrer Stelle ein Loch. Wir stopfen die Leere mit Trauer, mit Schmerz, mit Wut, solange, bis sie gefüllt, vielleicht sogar geheilt ist, bis wir bereit sind, wieder nach vorne zu sehen, das Risiko, uns zu verlieben, erneut einzugehen.
Diese Liebe meine ich nicht, sondern diejenige, die einfach geht. Schwächer wird, bis sie eines Tages nicht mehr greifbar ist. Wie löst sich eine Liebe, die stark war, für immer sein sollte, einfach auf? Die Antwort darauf finden wir nicht in einem der unzähligen Liebesromane, die wir verschlingen. Dort brennt die Liebe auf ewig, bis ans Ende aller Tage. Sie wird nicht erdrückt von Stress, vom Alltag aufs Abstellgleis geschoben und vor lauter Müdigkeit übersehen. Nein, das lodernde Feuer zwischen zwei Buchdeckeln erlischt nicht. Das Glühen, das die Protagonisten beflügelt, verkümmert nicht zu einem Glimmen, bis es schließlich zu einem Häufchen Asche zerfällt. Es glüht immer weiter, treibt sie an, lässt sie über sich selbst hinauszuwachsen. Leider hält das Leben sich viel zu selten an Romanvorlagen und noch seltener an die richtig guten. Die Realität ist ernüchternd. Paare, die wir für Traumpaare hielten, trennen sich, haben sich nichts mehr zu sagen. Nicht weil einer einen Fehler gemacht hat oder beide. Sie haben keinen Grund oder können ihn nicht benennen. Sie haben sich schlicht ausgeliebt, haben einander nichts mehr zu geben.
Frauenmagazine und Beziehungsratgeber warnen uns mit erhobenem Zeigefinger, wir müssen die Liebe jung halten, aufregend, jeden Tag an ihr arbeiten. Sonst verlieren wir sie auf dem Weg durch die Wirren des Lebens. Aber soll Liebe Arbeit machen? Soll sie mich nicht eher bereichern, mich tragen über die Hindernisse die das Leben mir in den Weg wirft? Wenn ich täglich um meine Liebe kämpfen muss, raubt mir das nicht Kraft, die ich auf anderen Schlachtfeldern dringend benötige? Versteht mich nicht falsch, ich plädiere nicht dafür, Beziehungen ihren Lauf zu lassen und darauf zu hoffen, dass sie allein den richtigen Weg finden. Ich will nicht aufhören, zu duschen und meine Haare zu kämmen, will mich nicht gehen lassen und darauf bestehen, dass mein Mann mich weiterhin liebt, obwohl ich ihm und mir keine Beachtung schenke und keine Zeit mit ihm verbringe. Ich will, dass sie bleibt, die Liebe, und nicht verschwindet, an diesen Ort, von dem keiner weiß, wo er ist. Würden wir ihn kennen, könnten wir unsere Liebe zurückholen, neu entfachen und genießen, was einmal gut war und was wir verloren haben, irgendwo im Irrgarten der Beziehung.
Was bleibt, wenn die Liebe geht? Nicht Wut, nicht Trauer, sondern Vermissen. Wir vermissen die Zukunft, die wir nicht erlebt, für die wir jedoch unzählige Pläne hatten. Die gemeinsame Wohnung, das Haus mit Garten, die Reise mit dem VW Bus bis ans Meer oder die Weltreise, wenn endlich die Kasse stimmt. Der Hund, der noch kein Körbchen, aber schon einen Namen hatte. Wir vermissen das Leben, das wir uns gemeinsam erträumt haben und das uns nun zwischen den Fingern zerrinnt. Das Bett ist zu groß, die Sonntage still. Wir vermissen nicht unbedingt die Person, sondern den Platz den sie ausgefüllt hat. Den Raum, den sie an unserer Seiten eingenommen hat. Die abendlichen Gespräche, das Lachen, das Anlehnen, das nicht allein sein. Vermissen ist keine Liebe, genauso wenig wie Sehnsucht. Sehnsucht nach Liebe ist eben keine Liebe, denn die ist ja fort an diesen unbekannten Ort. Und egal, was wir tun, sie kommt nicht wieder. Nicht beim zweiten Versuch und schon gar nicht beim dritten. Wir füllen lediglich die Leere für einen kleine Weile, bis wir merken, dass ohne Gefühl, irgendwas fehlt, ein großer Teil sogar, des ganzen Stoffs aus dem unsere Träume sind. Vielleicht müssen wir sie also gehen lassen, die Liebe, wenn sie das will, weil sie es ohnehin tut, ob wir uns wehren und strampeln oder schreien. Reisende soll man nicht aufhalten und die Liebe wohl auch nicht. Wer weiß, vielleicht kommt sie wieder, ganz sicher sogar, nur in Gestalt einer anderen Person, und bleibt, nicht nur kurz, sondern für immer vielleicht. Und bis dahin träume ich gelegentlich von Sommern im VW Bus, der mich entführt an einen geheimen Ort irgendwo am Meer, an dem ich die Liebe noch glüht.