Ghosting heißt es heute, wenn ein Mensch einfach verschwindet. Nicht spurlos, sondern aus deinem Leben. Ohne ein Wort wird er zum Geist, der lediglich in der Erinnerung lebt. Nach ein paar Dates lässt sich das verkraften, obwohl mit Sicherheit ein kleiner Stachel zurückbleibt. Aber nach Jahren in einer Beziehung oder einer Freundschaft ist das Verschwinden erschütternd, lässt den Verlassenen hilflos zurück. Psychologen zählen fünf Stadien der Trauer, die wir durchleben, wenn wir einen Menschen verlieren.
Verdrängung.
Ein Anruf, der nicht entgegen genommen wird, eine unbeantwortete Nachricht lässt sich wegerklären, immerhin haben wir alle viel zu tun und der Stress uns fest im Griff. Ein zweiter Anruf, weitere Nachrichten und keine Antwort machen Angst. Vielleicht ist etwas passiert. Nein, das Leben geht weiter auch online und Apps beweisen nachdrücklich, die vertraute Person ist noch da. Und du erkennst, es liegt an dir. Irgendwie bist du auf das Abstellgleis geraten, ohne zu wissen warum, aussortiert worden, als seist du ein ausgelatschter Schuh oder eine Jeans, die längst nicht mehr passt.
Wut.
Das Kopfschütteln verwandelt sich in Ärger, weil du so eine Behandlung nicht verdient hast, nicht nach all der Zeit und nicht nachdem du so viel gegeben hast, vielleicht sogar mehr, als du hattest. Wie kann die Person, der du dein Herz anvertraut hast, es einfach wegwerfen? Noch nicht mal vor deine Füße, nein, einfach während der Fahrt aus dem Fenster in irgendeiner Kurve auf einer verlassenen Straße.
Verhandlung.
Das Ganze muss ein Fehler sein, ein Missverständnis, das sich leicht ausräumen lässt. Anders kann es nicht sein. Die Gefühle, die Vertrautheit können nicht einseitig gewesen sein. So sehr kannst du dich doch nicht täuschen. Du drehst und wendest die letzten Wochen, Monate, das letzte Jahr, jedes Gespräch, jeden Blick. Was ist nur passiert? Ein Missverständnis, ganz klar. Eine weitere Nachricht. ‚Lass uns reden’, doch die Antwort bleibt aus. Einen Besuch traust du dir nicht zu, weil du ahnst, das die verschlossene Tür das letzte bisschen Hoffnung raubt. Und deinen Stolz, an dem du dich festkrallst, auch wenn er längst in Fetzen zwischen deinen Fingern hängt. Du weißt, es ist vorbei. Deine Erinnerung alles was bleibt. Ein Geist, der lebendig durch den Alltag anderer springt, mit ihnen lacht, mit ihnen lebt, während er dir fehlt.
Trauer.
Du starrst auf das Loch in deinem Leben, in deinem Herzen und fragst dich, wie du es füllen sollst oder schließen, zusammenflicken ohne die eine Person. Du weinst und schreist, aber nichts füllt die Leere. Deine Fragen bleiben unbeantwortet. Was hab ich getan? Was ist passiert? Was kann so schlimm sein, dass du gehen musstest? Hab ich mir alles nur eingebildet, die Nähe, die Vertrautheit, die Liebe? Geister beantworten keine Fragen, sie huschen durch deine Erinnerung, strecken in dunklen Momenten ihre Finger nach dir aus und füllen dich mit Sehnsucht, nach dem, was einmal war.
Akzeptanz.
Wenn ein Mensch stirbt, müssen wir irgendwann akzeptieren, dass er fort ist. Ghosting ist anders. Dein Mensch ist nicht tot, er ist noch da, sogar am Rande deines Blickfeldes. Er wohnt noch in der selben Stadt, trifft sich mit gemeinsamen Freunden, lebt, schreibt seine Geschichte weiter, aus er der dich mit Leichtigkeit gelöscht hat. Du drehst dich im Kreis, mit all deinen Fragen, deinen Tränen, dem Vermissen. Wie sollst du akzeptieren, was du nicht verstehst? Wie kannst du den Menschen gehen lassen, der doch da ist, nur nicht für dich. Vielleicht trefft ihr euch irgendwann, auf einer Party, in der Stadt, zufällig. Ein abgewendeter Blick und spärlich bedeckte Wunden reißen auf, als wäre alles erst gestern passiert. Mit diesem einen Augenblick beginnt der Kreislauf von Neuem. Die Sehnsucht, das Vermissen, die Fragen, auf die du keine Antwort erhältst. Du bleibst zurück für immer, führst Gespräche in deinem Kopf, weil es keine echten mehr gibt, du trägst Schuld ohne zu wissen wofür, übernimmst Verantwortung, schleppst eine Last, die du nicht kennst. Ghosting ist feige. Ghosting ist unfair, weil ein Mensch loslässt, ohne zurückzuschauen und den anderen dazu zwingt, festzuhalten, egal, wie sehr es schmerzt.
»Vielleicht kann ich eines Tages loslassen. Vielleicht besuchst du mich irgendwann nicht mehr in meinen Träumen, einfach so, als wäre nichts gewesen, nimmst mich in den Arm, so schmerzvoll vertraut. Vielleicht bist du in meinen Gedanken schon größer als in der Realität, aber das ändert nichts am Vermissen, den Fragen nach dem Warum. Vielleicht vermisst du mich auch, manchmal, einen kleinen Augenblick, wünscht dir, du könntest zurück, zu dem, was einmal war. Vielleicht kann ich eines Tages über dich sprechen und schreiben – Texte, die du niemals liest – ohne Tränen in den Augen und zitternde Finger. Bis dahin bleiben die Fragen, die Hoffnung, der Schmerz und gelegentlich ein kleines Lächeln beim Gedanken an dich.«